When Sinners Say I Do/Mercy Triumphs Over Judgment/de

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Gordon und Emma lernten sich bei einer kirchlichen Veranstaltung kennen. Sie war eine bewundernswerte junge Frau und er ein junger Pastor. Ihre Hochzeit erschien wie der Start eines gottesfürchtigen Paares, bereit zu einem fruchtbaren Dienst für kommende Jahrzehnte. Aber nur wenige Tage nach Beginn ihrer Flitterwochen platzten Emmas Träume. Gordon erklärte ihr, dass er sie nicht liebe und nur geheiratet habe, weil es für verheiratete Pastoren mehr Chancen gäbe als für alleinstehende.

Die beiden bekamen sechs Kinder, und während Gordon vier-zig Jahre lang als Pastor funktionierte, machte er nie den Versuch, Liebe zu seiner Frau zu entwickeln. Obwohl er sich offen zu einer Affäre bekannte, die nach der Geburt des vierten Kindes begann, bestand er darauf, verheiratet zu bleiben – eine Scheidung würde schließlich seine Karriere als Pastor entgleisen lassen. Die Ehe wurde für Emma zu einem Leben in geheimer Scham. Sie wurde dazu degradiert, ein Zimmer mit ihren beiden Töchtern zu teilen, während Gordon ein eigenes Zimmer hatte und ihre vier Söhne ein weiteres Zimmer bewohnten.

Dies ist Teil einer wahren Geschichte eines mittlerweile verstorbenen Ehepaares, von dem ich eine Person persönlich kannte. Es ist jedoch nicht das Ende ihrer Geschichte. Ihr Fall ist wirklich extrem, vielleicht sogar das schlimmste Beispiel für langfristige, herzlose Gleichgültigkeit, das mir je in einer „christlichen“ Ehe begegnet ist. Aber die Geschichte hat ein Ende, das man so nicht erwarten würde. Es schien hier nur um Versagen und Verlust zu gehen, aber es wurde etwas völlig anderes daraus. Es ist eine Geschichte der Barmherzigkeit.

Ein eigenartiges Gebot

Jesus hatte Menschen in Emmas Situation etwas mitzuteilen. Als Er einmal von einem Berg herabkam, auf dem Er die ganze Nacht im Gebet verbracht hatte, hatte Er zwölf Namen dabei. Es war an der Zeit, Gläubige zu Jüngern zu machen und Jünger zu einer Gemeinde. Die Männer, deren Namen Er in Seinem Herzen trug, würden Seine Hauptjünger werden, Seine engsten Begleiter und (mit einer Ausnahme) die Hauptverantwortlichen der ersten Gemeinde. Manchmal frage ich mich, ob Jesus nicht gern wieder auf den Berg zurückgekehrt wäre, um neue Namen zu bestimmen, nachdem Er diese Männer in Aktion gesehen hatte – aber Jesus blickte nicht mehr zurück. Jetzt war es an der Zeit, einen Verhaltenskodex für diese zwölf darzulegen und auch für alle anderen, die der Retter zu sich rufen würde. Was würde es bedeuten, Christus zu dienen? An erster Stelle standen die Seligpreisungen – nach den Aufzeichnungen von Lukas vier Segnungen voller Hoffnung für die Zukunft, gefolgt von vier Warnungen an jene, die bis dato noch nicht wussten, dass sie einen Erlöser nötig haben. Als es dann aber an den Kern der Sache ging, wurde es erst richtig interessant.

„Aber euch, die ihr hört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch fluchen; betet für die, die euch beleidigen! Dem, der dich auf die Backe schlägt, biete auch die andere dar; und dem, der dir den Mantel nimmt, verweigere auch das Untergewand nicht! Gib jedem, der dich bittet; und von dem, der dir das Dei-ne nimmt, fordere es nicht zurück! Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, tut ihnen ebenso! Und wenn ihr liebt, die euch lieben, was für einen Dank habt ihr? Denn auch die Sünder lieben, die sie lieben. Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, was für einen Dank habt ihr? Auch die Sünder tun dasselbe. Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr wieder zu empfangen hofft, was für einen Dank habt ihr? Auch Sünder leihen Sündern, damit sie das gleiche wieder empfangen. Doch liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas wieder zu erhoffen! Und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid nun barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,27-36).

Mach dir bewusst, wer Jesus damals zuhörte – Bauern, Fischer, Steuereintreiber, Fanatiker, Prostituierte – in den Augen der römischen Besatzer und der jüdischen religiösen Leiter eine Ansammlung von Pöbel. Menschen, die von anderen gehasst und verflucht wurden. Menschen mit echten Feinden. Denke jetzt einmal an die Gebote, die Jesus ihnen gab: Liebe deine Feinde; tue Gutes denen, die dich hassen; schlage nicht zurück und verleihe freigebig an die, die dir nichts zurückzahlen werden.

Was in aller Welt sagte Jesus da? Er fasste alles im letzten Gebot zusammen. Es geht allein ums Erbarmen.

Der Barmherzigkeit Ausdruck verleihen

Barmherzigkeit ist ein einzigartiges, wunderbares, außergewöhnliches Wort. Gottes Erbarmen bedeutet Seine Freundlichkeit, Geduld und Vergebung uns gegenüber. Sie ist Seine mitfühlende Bereitschaft, für und mit Sündern zu leiden – und zwar zu ihrem Allerbesten. In der Bibel vereint Gnade die schwerwiegende Verpflichtung der Gerechtigkeit mit der Wärme einer persönlichen Beziehung. Gnade erklärt, wie ein heiliger und liebender Gott Sündern begegnen kann, ohne sich selbst zu kompromittieren. Gott klopft sich dabei aber nicht selbst auf die Schulter und stellt dieses Merkmal öffentlich zur Schau, so als ob es nur Ihm gehöre und wir es nie haben sollen. Doch Er gibt diese Seine wunderbare Wesensart an uns weiter, als ein Geschenk, das wir weitergeben sollen. „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6,36).

Bevor wir Christen wurden, waren wir Gott gegenüber nicht einfach neutral oder ambivalent, sondern wir waren gegen Ihn, wir waren Seine Feinde (Römer 5,10) und als bereitwillige Nachfolger des Teufels dazu bestimmt, zu Recht Gottes Zorn ausgeliefert zu werden (Epheser 2,1-3). Das ist eine grauenhafte Vorstellung. Aber Gott entschied sich dafür, uns, Seinen Feinden, in Liebe zu begegnen. Das ist Gnade. Das ist die Realität des Kreuzes, die Christen erfahren haben. Das ist das Beispiel, dem wir folgen sollen.

All das wirft einige wichtige Fragen für Sünder auf, die einander das Ja-Wort geben. Kennst du Gott als einen Gott der Gnade? Siehst du deine Frau beziehungsweise deinen Mann so, wie Gott euch sieht – durch Augen der Gnade?

Lautet deine Antwort „Nein“, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass deine Ehe ‚lieblich‘ ist. Barmherzigkeit versüßt die Ehe. Wo sie fehlt, da beharken sich zwei Menschen gegenseitig wegen allem und jedem, angefangen vom nicht reparierten Wasserhahn bis hin zur Telefonrechnung. Wo sie aber zu finden ist, wird Ehe immer süßer und beglückender, selbst angesichts von Rückschlägen, unerwarteten Herausforderungen oder den beständigen Auswirkungen der uns noch innewohnenden Sünde.

Kimm liebt Kaffee. Sie selbst sagt, dass ihr Verlangen danach schon vor Jahren den Status der Liebe überschritten hat und zu einer Art Sucht geworden ist. Glücklicherweise kann ich aber noch keine zittrige Koffeinabhängigkeit feststellen – sie trinkt nur koffeinfreien! Am meisten mag sie am Kaffeetrinken den Geschmack und das Erlebnis als solches – eine heiße Tasse zu einem persönlichen Gespräch. Aus meiner Sicht ist das immer noch suchtverdächtig, aber doch erträglich.

Ich trinke lieber Tee. Meine Freunde betrachten Teetrinken als eine weibliche Eigenschaft, doch ist mir das am Morgen beim Frühstück ziemlich egal; da denke ich noch nicht so weit! Ich bin schon glücklich, wenn ich den passenden Schuh am richtigen Fuß trage. Und ich mag meinen Tee süß. Zucker, Süßstoff, das ist egal, was auch immer … rein damit! Ein Süßmittel bewirkt seinen Zauber dadurch, dass es das Bittere nimmt und es süß werden lässt. Genau wie mein Süßstoff im Tee verändert Gnade den Geschmack von Beziehungen. Gnade süßt die Bitterkeit aus Beziehungen heraus – und dies besonders in der Ehe. Also, rein damit!

Gib sie weiter

Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass einer der Hauptgründe, weshalb du verheiratet bist, darin liegt, damit du Gottes Gnade weitergeben kannst? Stell dir das so vor: Die Ehe ist der Ort, an welchem zwei Sünder so sehr miteinander verbunden werden, dass alle Masken abfallen. Wir setzen ja manchmal in der Öffentlichkeit unsere schönsten Gesichter auf. Aber wenn wir verheiratet sind, sehen wir uns in allen möglichen Situationen, einschließlich einiger sehr schwieriger! All diese wunderbare Vielfältigkeit (in diesem Fall ein höfliches Wort für unsere persönlichen Marotten, Schwächen oder Sündenmuster), die vor der Hochzeit noch abgeschirmt oder unterdrückt gehalten wurde, quillt nach der Hochzeitsreise aus dem Verschluss hervor. Wir sehen einander plötzlich, wie wir wirklich sind – in Rohfassung, unzensiert und in brillierenden Farben. Haben wir offene Augen, dann entdecken wir dabei wundervolle Dinge an unserem Ehepartner, von denen wir keine Ahnung hatten, dass es sie gibt. Wir entdecken aber auch mehr von den Schwächen des anderen. Kein Wunder, dass Martin Luther die Ehe als „die Schule des Charakters“ bezeichnete.[1] Ohne Gnade werden Unterschiedlichkeiten entzweiend, manchmal sogar „unüberbrückbar“. Aber tiefgehende, ernsthafte Unterschiedlichkeiten finden sich in jeder Ehe. Nicht das Vorhandensein von Unterschieden, sondern die Abwesenheit von Gnade machen Menschen unversöhnlich. Wie viele Sünder, die nach ihrem „Ja-Wort“ einander doch „Tschüß“ gesagt haben, wären Liebende geblieben, wenn sie die Notwendigkeit der Barmherzigkeit und Gnade in ihren Ehen erkannt hätten!

Letztes Jahr zu Weihnachten bekam Kimm einen „Freundschaftsball“ geschenkt. Das ist Weihnachtsschmuck, gefüllt mit duftendem Allerlei und anderen wohlriechenden Dingen, die Männer gewöhnlich nicht wahrnehmen. Meine Frau erklärte mir, dass ein „Freundschaftsball“ ein Geschenk ist, das man weitergibt, wenn man sich selbst eine Zeit lang daran erfreut hat. Es soll weitergeschenkt werden. Dabei geht es also nicht nur ums Beschenktwerden, sondern auch um das Weitergeben.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es mit der Gnade handhaben sollte. Man sollte sie in Empfang nehmen, sich daran erfreuen und sie feiern … aber dann muss sie weitergegeben werden. Der himmlische Vater hat uns Gnade angeboten, damit wir sie mit anderen teilen. Wie wird man zu solchen Austeilern der Gnade? Nun, das geschieht nicht durch Zufall!

Gnade in Echtzeit

Gute Ehen entstehen, wenn wir viel Gnade austeilen. Vielleicht ist da eine Ehefrau, die beständig am Meckern ist, oder ein Ehemann, der durch chronisches Selbstmitleid gelähmt ist. Im Anschluss an die Seligpreisungen spricht Jesus in Lukas 6 auch darüber, wie wir am besten mit solchen Menschen umgehen sollten. Anstatt das alte Rezept anzuwenden (übergieße die Unterhaltung mit etwas Anklage, füge eine Tasse Rechthaberei hinzu, verrühre das Ganze mit ärgerlichen Blicken, erhitze es durch zunehmende Lautstärke und wiederhole das mehrfach), gebrauchen wir das neue Rezept, nennen wir es einfach das „Bio-Rezept“: Herrliche Gnade!

Gnade ersetzt nicht die Notwendigkeit, Wahrheit auszusprechen. Sie verwandelt aber unser Verlangen, einen Streit zu gewinnen, in den Wunsch, Christus ähnlich zu werden. Sie nimmt mich aus dem Zentrum heraus und stellt Christus hinein. Das ist, was die Gnade bewirkt.

Gnade und Erbarmen nimmt zwei Menschen, die in der Lage sind, wegen Zahnpastatuben und Toilettendeckel Krieg zu führen, und erweitert ihren Blickwinkel dahingehend, ihren Retter mit einzubeziehen. Gnade kommt einem in Selbstmitleid gehüllten und mit Stolz gepanzerten Sünder entgegen und zeigt ihm den Weg aus seiner Dunkelheit heraus ins Licht. Gnade inspiriert uns dazu, aus der Gefangenschaft der Selbstliebe herauszukommen und zu den nobleren und gütigen Prinzipien unserer neuen Natur zurückzukehren.

Aber wir sind nicht nur Opfer unserer eigenen sündhaften Haltungen, sondern wir sind auch Zielobjekte der Sünde anderer Leute. Wir haben Feinde, Menschen, die uns nicht mögen, die uns ausnutzen, die unbegründete Ansprüche an uns stellen. Menschen, die uns behandeln, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt, ohne Rücksicht auf unsere Gefühle. In Lukas 6 nimmt Jesus Bezug auf solche konkreten Stresssituationen in unserem Leben.

Von manchem Leser höre ich nun gewiss die Frage: „Ja, aber Lukas 6 beschreibt nicht meine Ehe. Schließlich verheiraten sich Feinde nicht miteinander. Männer halten nicht um die Hand von Frauen an, die sie hassen. Menschen, die einander verwünschen und ausnutzen, blicken sich normalerweise nicht verliebt in die Augen und flüstern: ‚Ja, ich will.‘ Was soll dieser Abschnitt über Feindesliebe mit der Ehe zu tun haben?“

Alles – weil Christus hier die umfassende Reichweite der Gnade aufzeigt. Indem Er schmerzliche Szenarien anspricht, legt Er die Messlatte an das normale Leben an. Er sagt: „Okay, und nun geht’s weiter mit dem Erbarmen. Lasst uns mitten in die ungeheuerlichen Umstände des Lebens hineingehen, wie sie beispielsweise deine Feinde, diejenigen, die dich ausnutzen, hassen oder schlagen, hervorrufen. Denn wenn du weißt, wie man mit erklärten Feinden umgeht, wirst du auch wissen, wie man sich mit gelegentlichen Feinden verhält. Wenn du dem Gewalttätigen, dem Boshaften, dem extremen Feind Gnade zukommen lassen kannst, dann kannst du das auch bei dem, der dir einfach nur auf die Nerven geht, dich ignoriert oder enttäuscht.“

Bevor ich hier weitergehe, muss ich noch etwas einschieben: Es gibt leider auch Gewalt in der Ehe, wodurch ganz konkret die Sicherheit des Partners oder der Kinder bedroht ist. Lasst uns an dieser Stelle ehrlich sein, das bezieht sich in den meisten Fällen auf Männer. Bei solchem Gewaltmissbrauch – traurigerweise findet der auch in christlichen Haushalten statt – ist die dringende Notwendigkeit gegeben, den Aggressor von den Familienmitgliedern zu trennen, denen er Gewalt antut. In solchen Sonderfällen ist genau das die gebotene Barmherzigkeit, die man ausüben muss. Denn die Trennung schützt nicht nur die gefährdeten Personen, sondern auch den, der in der Sünde seiner Gewalttätigkeit gefangen ist. Gnade ist dann, einem solchen Menschen die Gelegenheit zu geben, sich seiner selbst bewusst zu werden, umzukehren und sich zu verändern. Ich kenne Männer, die Gott zutiefst dankbar dafür sind, dass Er ihr Leben durch das gnädige Einschreiten eines mutigen Ehepartners, Freundes oder Pastors vor der Anrichtung noch größeren Schadens bewahrt hat.

Es bleibt dabei: Gnade ist uns verliehen, um sie weiterzugeben, und wo sie hinkommt, verändert sie alles zum Besseren. Wir sol-len das, was wir von Gott erhalten haben, weitergeben – beständige Liebe, Güte und überfließendes Erbarmen. Wir haben gegen Gott gesündigt, und Er antwortete mit Erbarmen. Wir sind dazu berufen, es genauso zu tun.

Deshalb müssen wir uns nun genauer anschauen, wie die Gnade im Alltag praktisch funktioniert.[2]

Gnade vor Recht: Sei gütig

Eine der wahrhaft überwältigenden Eigenschaften an Gottes Barmherzigkeit ist die Tatsache, dass Er jedes sündige Handeln, das wir jemals begangen haben, alle unsere unreinen Motive und Gedanken sieht und uns dennoch in Liebe begegnet. Gott liebt Sünder, so einfach ist das – doch bestimmt nicht wegen, sondern trotz ihrer Sünde! Seine Liebe findet ihren Ausdruck in Seiner Güte gegenüber Sündern, und diese Güte soll uns zur Umkehr leiten (Römer 2,4). Der Ausdruck „uns … leiten“ sagt uns, dass Seine Güte uns vor unserer Umkehr trifft und uns zu Ihm zieht. Was für eine großzügige Demonstration des Erbarmens denen gegenüber, die – auf sich allein gestellt – vor Gott fliehen würden!

Die Verheißung des Erbarmens Gottes findet sich überall im Alten Testament. Faktisch war Gott zu jeder Zeit den Menschen in Güte zugeneigt. Noch bevor Adam und Eva sündigten, hatte Gott beschlossen, Seinem Volk gegenüber Seine Liebe und Sein Erbarmen auszudrücken. Keine Sünde hat Gott jemals dazu gebracht, Seinen Vorsatz oder Sein Denken in dieser Sache zu ändern. Und dieser Vorsatz findet schließlich in Jesus Christus seinen absoluten Höhepunkt.

Achte darauf, dass Lukas 6 keinen Aufruf zu vereinzelten Gnadenerweisen darstellt, die wir hier oder dort mal vornehmen sollen, sondern Jesus ruft uns dort zu etwas viel Weitergehendem auf, nämlich zu einer beständigen Haltung, die von Gnade und Barmherzigkeit bestimmt ist. Wenn diese Grundhaltung in unseren Herzen wohnt, dann besetzt sie den Ort, von wo aus wir sonst böse agieren. Gott verteilt nicht nur vereinzelt Gnadenerweise, sondern Er ist gnädig und ist barmherzig (Lukas 6,36).

Wird einem Menschen solche Güte von Gott zuteil, dann bewirkt sie in uns eine Verpflichtung: Wir sollen in dieser empfangenen Güte auch beständig leben (Römer 11,22). Das bedeutet, wir warten nicht darauf, dass jemand gegen uns sündigt, um dann mit Gnade zu reagieren, sondern wir nehmen eine Haltung der Bereitschaft ein, Sünde gegen uns als eine positive Erfahrung zu sehen, die es uns ermöglicht, inmitten einer gefallenen Welt Gott zu verherrlichen, und das gerade auch in unserer Ehe. Güte sagt zu seinem Ehepartner: „Ich weiß, dass du ein Sünder bist und ge-gen mich sündigen wirst, aber ich weigere mich, deshalb in einer Verteidigungs- oder gar Angriffshaltung zu leben. Ich werde mein Leben dir gegenüber in einer Haltung der Gnade führen, die sich von deiner Sünde nicht beirren lässt.“

Wie kannst du aber gütig sein und gleichzeitig wissen, dass hinter der nächsten Ecke schon die nächste Sünde lauert? Weil die Güte ihren Ursprung nicht in dir selbst hat, sondern in Gott. Sie ist kein Kennzeichen deiner Persönlichkeit, sie ist eine Frucht des Geistes (Galater 5,22; Kolosser 3,12) und ein Ausdruck biblischer Liebe (1. Korinther 13,4). Güte erkennt, dass Gottes Gnadenerweise jeden Morgen neu sind (Klagelieder 3,23). Deshalb gibt es neue Gnade für jedes Versagen – sowohl für denjenigen, der sündigt, als auch für denjenigen, dem Unrecht angetan wird. Güte ist eine von Gott gewirkte Charakterart, die notwendigerweise Taten mit sich bringt, die unseren Beziehungsalltag neu programmieren, weg von Selbstbezogenheit und hin zu den erlösenden Absichten Gottes.

Wird in einer Ehe Güte grundsätzlich gelebt, dann führt das natürlich auch zu konkreten Erfahrungen, die voll von Gnade und Barmherzigkeit sind. Da ist zum Beispiel der Kaffee, den eine Frau ihrem noch spät am Abend arbeitenden Mann bringt, oder das gewaschene und gereinigte Auto für die vielbeschäftigte Mutter. Dazu gehört auch, den anderen bewusst zu ermutigen, wenn er sich schwach oder überfordert fühlt. Diese und viele andere Freundlichkeiten sind mehr als gute Manieren oder Anständigkeiten. Sie sind Güte und Gnade, mitten in die Routine des Lebens hinein gesät. Das sind die Gnadenmomente, von denen wir in schwierigen Zeiten und Belastungsproben zehren.

Gnade unter Beschuss: Wie er mir, so ich dir …

In seinem Buch über persönliche Beziehungen trifft Paul Tripp eine ernüchternde Feststellung:

„Im Dienst von Mensch zu Mensch wird sich irgendwann im Laufe der Beziehung die Sünde Ihres Gegenübers offenbaren. Wenn Sie jemandem helfen, der wütend ist, wird sich an einem bestimmten Punkt dieser Zorn gegen Sie richten. Wenn Sie jemandem helfen, der Probleme mit dem Vertrauen hat, wird diese Person Ihnen irgendwann misstrauen. Ein Mensch, der gerne andere manipuliert, wird auch bei Ihnen seine Spielchen versuchen. Wenn jemand niedergeschlagen ist, wird er Ihnen sagen, er habe versucht, alle Ihre Ratschläge zu befolgen, aber nichts habe funktioniert. Schließlich können Sie nicht neben einer Pfütze stehen, ohne ein paar Schlammspritzer abzubekommen!“[3]

Wie nass und schmutzig bist du mittlerweile in deiner Ehe geworden? Treffen dich die Spritzer der Sünde deines Ehepartners? Oder drehen wir die Frage um: Wie viel Dreck hast du schon umhergeschleudert?

Hast du dich jemals gefragt, wo man die Goldene Regel findet? Sie steht genau hier, in Lukas 6,31. Es mag da verschiedene Übersetzungen geben, z.B.: „Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, tut ihnen ebenso!“ (Elberfelder) oder: „Handelt allen Menschen gegenüber so, wie ihr es von ihnen euch gegenüber erwartet“ (Neue Genfer). Egal, wie man es formuliert, der Kern der Sache ist derselbe: Gebrauche, wie du selbst behandelt werden willst, als Maßstab dafür, wie du mit anderen umgehst. Oftmals wird diese Goldene Regel als Mittel verstanden, sich keine Feinde zu machen. Jesus gibt aber diese Goldene Regel ausdrücklich für Situationen vor, wo Menschen schon zu Feinden geworden sind. Es ist die gebotene Antwortstrategie dafür, wenn wir bereits unter Beschuss geraten sind.

Aber auch hierbei ist eine gnädige Reaktion für Sünder wie dich und mich tatsächlich nur dann möglich, wenn wir die Gnade, die wir von Gott empfangen haben, weitergeben. Diese Art Reaktionen machen im Leben einer Ehe den entscheidenden Unterschied aus. Nachfolgend beschreibe ich einige praktische Wege, wie wir – unter Beschuss – Gnade erweisen können:

Suche den Rat von Freunden, Pastoren usw., wenn sündhafte Verhaltensmuster immer wieder Probleme verursachen. Von außen herangezogene Menschen können oft objektiv helfen, die Wurzeln dieser chronischen Probleme herauszufinden, und sie können gute Hilfestellungen geben.

Solche Hilfestellungen werden Konflikte nicht völlig beseitigen. Sie sind aber biblisch vorgegebene Strategien, mit denen wir der Hitze der Sünde unseres Partners begegnen können, sodass die Temperatur nicht noch weiter steigt und die Konfliktlösung unmöglich wird. Dabei habe ich eines gelernt: Wenn es gelingt, eine zweistündige Konfliktsituation durch eine zweiminütige Gnadenanwendung zu verhindern, dann ist das ein Gewinn für jeden Beteiligten.

Gnade – Nachsicht, die Vergebung vorwegnimmt

Da hast du es. Sie hat es wieder getan! Er hat es wieder gesagt. Du bist dir einerseits deiner eigenen Versuchungen bewusst, du hast wirklich versucht, mit Güte zu lieben und deinen Partner zu behandeln, wie du selbst behandelt werden möchtest, und du warst auch in deinen Reaktionen sehr vorsichtig. Auch darin wolltest du Gott gefallen – und doch ist es nun wieder passiert! Zu einem ganz und gar schlechten Zeitpunkt. Ihr geht gerade zum Gottesdienst, kämpft kurz mit euch selbst, bevor ihr durchatmet und er zu seinem Platzanweiserdienst verschwindet, während sie bei der Kinderbetreuung mithilft. Man muss doch für die Besucher und die Kinder glücklich aussehen. Du bist also in einer Situation, wo etwas nicht in Ordnung ist, es aber im Moment nicht gelöst werden kann. Was machst du nun?

Du könntest dir vornehmen, es später anzusprechen, was immer eine gute Idee ist – aber was, wenn ‚später‘ auch in den nächsten Tagen zeitlich nicht möglich ist? Ist die Sache wirklich so bedeutsam, dass man sie weiter mit sich herumträgt? Du könntest dir vielleicht doch noch einen Moment ergattern, um die Sache unverzüglich zu klären, was aber wahrscheinlich andere in Mitleidenschaft ziehen und in Verlegenheit bringen könnte. Oder versuchst du, es einfach hinter dir zu lassen, zu vergessen – nur um festzustellen, dass es irgendwann wieder auftaucht, zumeist in einem nächsten Konflikt? Vielleicht hast du aber auch eine innere ‚Ablage‘, so eine gedankliche Schublade mit der Aufschrift: „Was sich an meinem Partner verändern muss“? Oder wie wär’s sogar mit einem Exorzismus?

Vielleicht wusstest du es noch nicht, aber die Bibel gibt dir tatsächlich ein besonderes Vorrecht im Umgang mit Sünde, die dir von jemand anderem widerfährt. Und dieses Vorrecht heißt: „Nachsicht“ (Römer 3,26). Es bedeutet, dass du in einer bestimmten Situation Liebe ins Spiel bringen kannst, und zwar auf solche Weise, dass du die Sünde des anderen einfach übergehst, ohne dass er merkt, dass er etwas Falsches getan hat und es sich eingestehen kann! Nachsicht ist ein Ausdruck der Gnade, der sowohl die großen Sünden ehelicher Kämpfe wie auch die kleinen Sünden ehelicher Störung bedecken kann. Und sind wir ehrlich: Kleine Sünden sind der Zündstoff der meisten ehelichen Großbrände.

Man muss an dieser Stelle aber vorsichtig sein: Nachsicht bedeutet nicht, die Sünde bis zu einem anderen Zeitpunkt aufzubewahren. Es ist auch keine Variante von Geduld oder ein christliches, äußeres ‚Nett-Sein‘, bei dem man vorgibt, dass einem etwas nichts ausmacht. Es ist noch nicht einmal ein Ignorieren der Sünde im Sinne einer Weigerung, sie überhaupt als solche anzusehen.

Nachsicht üben bedeutet, dass wir wissen (oder es zumindest vermuten), dass jemand an uns schuldig geworden ist, jedoch tref-fen wir die bewusste Entscheidung, die Beleidigung zu übersehen, sie nicht zur Sprache zu bringen, sondern die Schiefertafel einfach sauberzuwischen. Wir drücken damit eine Herzenseinstellung der Vergebung aus und behandeln (offenbare) Sünde, als sei sie nie vorgekommen. Sprüche 19,11 sagt uns, dass es etwas Ruhmreiches ist, „an einer Übertretung vorüberzugehen“. Nachsicht ist vorweggenommene Vergebung, die aufrichtig und freiwillig gewährt wird.

Ganz gewiss verlangt es die Gerechtigkeit, die Sünde des anderen auch mal anzusprechen, selbst wenn dies einige unschöne Ergebnisse hervorrufen wird (wir werden in Kapitel 7 darauf zu sprechen kommen). Wenn zum Beispiel eine Beleidigung so schwerwiegend ist, dass sie notgedrungen angesprochen werden muss, macht es keinen Sinn, sie zu übergehen, nur weil man dem Schmerz aus dem Wege gehen möchte, der entsteht, wenn man die Sache anspricht. Diese Art von Übergehen hat nichts mit der Nachsicht zu tun, von der die Bibel spricht. Genauso auch nicht das völlige Ignorieren eines sündhaften Lebensmusters im Partner.

Biblische Nachsicht kommt also von Fall zu Fall ins Spiel. Sie beinhaltet die glasklare Erkenntnis, dass jemand an dir schuldig geworden ist. Und danach triffst du die kühne, vom Evangelium inspirierte Entscheidung, diese Sünde mit Liebe zuzudecken. Petrus gibt uns den Schlüssel zur Nachsicht in die Hand, wenn er sagt: „Vor allen Dingen aber habt untereinander eine anhaltende Liebe! Denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden“ (1. Petrus 4,8). Es sieht ganz danach aus, als ob Petrus die Lektion aus Lukas 6 gut begriffen hätte!

Versündigt sich jemand an dir, dann kannst du das unter dem Gesichtspunkt der Liebe überdecken – oder auch überschreiben, wenn dir das besser gefällt. Deshalb ist Nachsicht auch ein Hinweis darauf, wie ernst es dir mit deiner Liebe ist. Wenn du Nachsicht übst, legst du dir also selbst Rechenschaft darüber ab, ob deine Liebe wirklich tief geht.

Eine Sünde mit Liebe zu bedecken, sollte besonders die ‚kleinen‘ Sünden betreffen, die unser Alltag so mit sich bringt. Das kann in bestimmten Zeiten extrem hilfreich sein, besonders dann, wenn wir es gerade mit sehr schwerem, ehelichem Konfliktpotential zu tun haben. Wenn wir dann auch noch in den kleinen Sachen unnachsichtig sind, steuern wir auf die totale Entgleisung zu. Manchmal können die kleinen Fehltritte so häufig auftreten, dass wir entmutigt zu der Überzeugung kommen, überhaupt keinen Fortschritt zu machen. Manchmal kann einer der Ehepartner in einer besonders schwierigen Lebenssituation stecken, die ihn oder sie empfänglicher für Versuchungen werden lässt. In solchen Situationen räumt Nachsicht die kleineren Dinge beiseite, die uns von etwas Größerem ablenken oder wegziehen wollen.

Um ein Beispiel zu nennen: Kimm und ich haben manchmal das Vorrecht, an Eheseminaren als Sprecher teilzunehmen. Kimm empfindet es einerseits als eine große Ehre, bei diesen Gelegenheiten Frauen auf etwas ansprechen zu können, was ihr sehr am Her-zen liegt. Auf der anderen Seite ist die Vorbereitung eines Vortrags etwas, wofür sie sich nur unzureichend begabt fühlt. Die Vorbereitung – neben all den täglichen Verantwortlichkeiten – kann bei ihr in den Wochen vor einem solchen Ereignis Beklemmungen hervorrufen. Manchmal drückt sich ihre Unruhe dadurch aus, dass sie mir Vorwürfe macht. Als wir diese Zeiten die ersten Male durchmachten, dachte ich immer, sie bräuchte einfach etwas mehr Nachhilfe, so in der Art: „Wenn Susanna Wesley in der La-ge war, einen Haushalt mit 19 Kindern zu führen und dennoch eine dreistündige stille Zeit pro Tag mit Gott haben konnte, dann wirst du wohl diesen kleinen Vortrag noch vorbereiten können?“[4] Ziemlich geschickt, oder? Es genügt der Hinweis, dass diese Unterhaltungen niemals produktiv waren.

Dankenswerterweise habe ich gelernt, dass es nicht nur weise ist, sondern auch liebevoll, die ‚Hitze‘ in Kimms Leben bei meiner Beurteilung mit in Betracht zu ziehen. Ich sollte darauf achten, wie sie damit zurechtkommt, und sie ermutigen, anstelle zu kritisieren. Und ich sollte es auch zulassen, etwas von ihren Spritzern (oder heißem Motorenöl) abzubekommen, damit sie durch diese Erfahrungen in ihrem Glauben wachsen kann. Es ist doch ein Vorrecht, die Liebe unseres Erlösers sichtbar werden zu lassen, indem wir mit unserem Ehepartner Nachsicht üben – um der Liebe willen! Es ist dies doch auch eine Erinnerung an die Nachsicht Gottes mit meiner Sünde – aus Liebe!

Wo findet sich diese Nachsicht in Lukas 6? Um dies zu beantworten, müssen wir einen Schritt zurückgehen. Vers 17 macht deutlich, dass Jesus zu zwei Gruppen von Menschen spricht: „eine Menge seiner Jünger und eine große Menge des Volkes“. Die zweite Gruppe war genau wie du und ich, bevor wir Christen wurden – Menschen mit wenig Verständnis dafür, dass sie einen Retter brauchten. Als Juden waren diese Zuschauer damals recht zuversichtlich im Hinblick auf ihre Position vor Gott. In ihrer Theologie gab es keinen Raum dafür, sich selbst als Feinde Gottes zu se-hen. Sie waren dort, um Heilungen und Reden zu erleben, nicht Umkehr. Später wendeten sich viele von ihnen aktiv gegen Jesus und forderten Seine Kreuzigung. Selbst Seine Jünger ließen Ihn im Stich, und einer von ihnen verriet Ihn sogar zum Tode.

Das heißt, als Jesus in Seiner Rede die Menschen aufforderte, einander Gnade zu erweisen, sprach Er zu solchen, deren Herz aufgrund ihrer Sünde grundsätzlich gegen Ihn gerichtet war. Aber Er übte Nachsicht mit ihnen allen. Er tat selbst, was Er anderen empfahl.

Gnade besiegt unseren wahren Feind

Vor einigen Jahren wurde mir die Hässlichkeit einer These bewusst, die sich in meinem Kopf festgesetzt hatte und die so manche meiner Beziehungen beeinflusste. Ich war nämlich der festen Überzeugung, dass ich mit dem Ärger, den die Sünde anderer Menschen verursachte, nichts zu tun hätte. Schließlich ist das unbequem und macht Mühe. Außerdem bin ich doch erhaben darüber und habe weitaus bessere und wichtigere Dinge zu tun. Wenn ich also meinte, dass Menschen gegen mich sündigten, reagierte ich mit Sätzen, die alle logisch, vernünftig und auch rechtfertigend klangen. Ich fühlte mich sehr gut dabei, merkte aber nicht, dass sie in Wirklichkeit selbstgerecht waren! Du kannst dir vorstellen, was dann in unserem glücklichen Zuhause abging.

Hast du schon einmal einige dieser Bemerkungen auf deinen Lippen gehabt?

„Ich kann es nicht glauben, dass du das getan hast!“

„Ich verdiene das nicht!“

„Ich bin jetzt aber zu Recht zornig!“

„Warum willst du dich nicht ernsthaft ändern?“

Diese Sätze triefen doch alle nur so vor Gnade, oder? In Wirklichkeit rinnt aus ihnen nur das heiße und schmutzige Öl der Selbstgerechtigkeit. Selbstgerechtigkeit ist ein Gefühl moralischer Überlegenheit, das uns zum Ankläger anderer Menschen ernennt. Wir benehmen uns dann so, als seien wir gar nicht in der Lage, so wie sie zu sündigen. Selbstgerechtigkeit steht auf Kriegsfuß mit der Gnade.

Es ist sehr einfach, das Geschenk der Ehe inmitten von rosigen, romantischen Flitterwochen zu feiern. Wir sind aber alle Gefallene, und das wird in der Ehe auf nachhaltige Weise sichtbar. Gnade ist dann am nötigsten, wenn wir der Schwachheit und Gebrechlichkeit der Person, die wir geheiratet haben, begegnen. Gnade leuchtet dann besonders hell, wenn im Augenblick ihres Versagens unvermittelt unsere Vergebung folgt.

Unsere Reaktion auf Sünde, die gegen uns gerichtet war, kann ganz schnell selbstgerecht sein. Wahrscheinlich ist die einfachste und am meisten verbreitete Reaktion, sich gleichzeitig als Richter, Staatsanwalt und Geschworene aufzuspielen. Es dürfte nicht überraschen, dass diese Fälle gewöhnlich schnell erledigt sind. Wir beginnen damit, das Motiv für das Verbrechen unseres angeklagten Ehepartners herauszufinden. Dann schaffen wir es innerhalb weniger Momente, die Geschworenen heranzuziehen, den Fall darzulegen und von ihnen die nicht überraschende Aussage ‚schuldig‘ zu erhalten. Dem tatsächlich Angeklagten wurden dabei keine Fragen gestellt, keine Gelegenheit zur Zeugenaussage gegeben, und die Umstände wurden ebenfalls nicht näher dargelegt.

Hast du in letzter Zeit deinen Partner in einen solchen Gerichtssaal deines eigenen Ichs gezerrt? Ich habe das getan. Aber hier sind einige Fragen, die ich mir in diesem Kampf mit der Selbstgerechtigkeit zu stellen gelernt habe:

Wenn eine oder mehrere dieser Fragen in dir einen Widerhall fin-den, dann stehst du womöglich in der Gefahr, von der Sünde der Selbstgerechtigkeit eingewickelt zu werden.

Selbstgerechtigkeit zeigt sich nicht einfach dann, wenn Menschen gegen uns sündigen; sie begegnet uns auch, wenn wir den Schwächen anderer Menschen begegnen. Ich bin der Meinung, dass der Unterschied zwischen Sünde und Schwachheit nicht allzu groß ist. Denn Sünde hat faktisch immer eine unseren Charakter schwächende Auswirkung. Aber die Bibel weiß, dass unsere Schwächen von Person zu Person unterschiedlich sind – zum Beispiel im Bereich der Verletzlichkeit oder der Empfänglichkeit für Versuchungen. Wir sind nicht alle in allen Bereichen gleich stark. Einige sind zum Beispiel für Entmutigung empfänglicher als andere oder für Ängste oder Ärger. Einige kämpfen mehr bei körperlichen Schwächen als andere. Wir haben alle in dem einen oder anderen Bereich unsere Schwächen, sonst gäbe es für das Wirken der Kraft Gottes in unserem Leben keine Notwendigkeit (Römer 8, 26).

Die Schwächen in unserem Partner können uns versuchen – sie sind unbequem und frustrierend. Wie verhalte ich mich also, wenn diese bestimmte Schwäche meines Partners sich wieder zeigt? Reite ich dann wieder (laut oder leise) einfach auf der Aussage herum: „Ich sehe nicht, wieso das für dich wirklich ein Problem darstellt!“? Das wäre eine besonders traurige Ausdrucksform der Selbstgerechtigkeit. Anstelle mit den Schwächen oder Begrenzungen des anderen mitzufühlen, verhalten wir uns in herablassender oder fordernder Art und Weise. Wir registrieren die Schwächen anderer recht schnell, nehmen die eigenen aber nur langsam wahr.

„Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem in gleicher Weise wie wir versucht worden ist, doch ohne Sünde“ (Hebräer 4,15). Die Schrift geht davon aus, dass jeder von uns Schwächen hat. Christus weiß das und breitet Seine Gnade auf jede einzelne von ihnen aus. Er kann unsere Kämpfe nachempfinden und fordert uns dazu auf, dasselbe auch für unsere Ehepartner zu tun.

Kann dein Partner von dir sagen, dass du mit seinen Schwächen mitfühlst und dass du die Gnade weiterreichst, die Christus dir angesichts deiner eigenen Schwächen zuteilwerden lässt? Oder sitzt du über deiner Frau beziehungsweise deinem Mann zu Gericht?

Die gute Nachricht für selbstgerechte und richtende Menschen (was wir früher oder später alle einmal sind) ist die, dass die Gnade über dem Verurteilen triumphiert (Jakobus 2,13). Wenn ich die Gnade, die Gott mir zuteilwerden lässt, wirklich begreife, dann werden mir die Augen für die Wertlosigkeit meiner eigenen Gerechtigkeit geöffnet, und ich werde direkt zum Kreuz geschickt – zur Gerechtigkeit Christi. Dann bin ich in der Lage, mit den Schwächen meines Partners mitzufühlen und mich meiner eigenen zu rühmen, denn sie offenbaren Gottes Stärke (2. Korinther 12,9). Wie John Stott gesagt hat: „Gottes Kraft kommt am besten in menschlicher Schwäche zur Geltung. Schwachheit ist der Schauplatz, auf dem Gott Seine Stärke am wirkungsvollsten erweisen kann.“[5]

Gnade triumphiert über Gericht

Es gibt gewiss solche unter uns, die dieses Kapitel lesen und dabei innerlich ausrufen: „Nein, das kann so nicht sein!“ Für viele Verheiratete ist die Backe, die erneut hingehalten werden soll, oder die Sünde, die wiederum übersehen werden soll, einfach zu viel! Man hat es mit Gnade versucht, aber „es hat nicht funktioniert“. Nichts hat sich verändert. Im Gegenteil: Auf der Gnade wurde sogar herumgetrampelt. Sie wurde missbraucht. Sie führt einfach nicht zu den richtigen Ergebnissen.

Aber wir müssen etwas zurückgehen und die Frage stellen: „Welches Ziel hat die Gnade?“ Erwarte ich, dass die Gnade eine Antwort bekommt? Gewähre ich sie deshalb? Geht es um die Ergebnisse? Ist Gnade eine Art geistliche Münze, mit der ich mir das gute Verhalten meines Partners erkaufen kann?

In Lukas 6 macht Jesus deutlich, dass Gnade eine ganz bestimmte Verheißung hat, und zwar die einer Belohnung, aber nicht bestimmter Ergebnisse (V. 35). Jesus verheißt uns nicht, dass Er in jedem Fall unsere Feinde verändern will. Er hat noch etwas Besseres für uns im Auge, nämlich eine wachsende Beziehung der Liebe zu unserem himmlischen Vater. Und die drängt in zunehmender Weise jedes verletzende oder beleidigende Verhalten gegen uns in den Hintergrund.

Erinnerst du dich noch an Gordon und Emma vom Anfang dieses Kapitels? Er war der Pastor, der seiner Frau auf der Hochzeitsreise mitteilte, er habe sie nur um seiner Karriere willen geheiratet. Es ist nun an der Zeit, den Rest der Geschichte zu erzählen.

Gordons Geringschätzung für Emma durchzog quasi jeden Be-reich ihrer Ehe. Zwar lebte sie mit ihm unter einem Dach, doch erfuhr sie niemals ein Leben unter seiner Fürsorge. In ihrem Zuhause gaben Heuchelei und Gleichgültigkeit gegenüber seiner Frau den Ton an. Die Kinder wuchsen zwar mit dem Gespür he-ran, dass im Vergleich zu anderen Familien bei ihnen zu Hause irgendetwas nicht stimmte, aber sie hatten wenig davon begriffen, wie sehr ihrer Mutter Tag für Tag Unrecht getan wurde.

Aber Emma liebte ihren Erretter, der ihr Seine Gnade schenkte, und hielt an Ihm all die Jahre und durch alle Versuchungen hindurch fest. Der Liebe des Mannes, den sie geheiratet hatte, beraubt, warf sie sich selbst auf das Erbarmen Gottes. Das Evangelium rief ihr immer wieder in Erinnerung, dass sie selbst einen Erlöser brauchte und ihre größte Not nicht in ihrem grausamen Schicksal bestand. Nicht die Boshaftigkeit des Mannes, mit dem sie ihr Zuhause teilen musste, sondern ihre eigene, tiefgehende Sündhaftigkeit vor Gott beklagte sie.

Emma verstand die Vergebung und Barmherzigkeit, die Gott ihr geschenkt hatte, und akzeptierte den Ruf des himmlischen Vaters, dieses Erbarmen auch ihrem Mann weiterzugeben. Emma ließ nie zu, dass Bitterkeit in ihrem Herzen aufkeimte. Stattdessen lernte sie, in Würde zu leben, indem sie ihr Wohlergehen der Fürsorge Christi überließ.

Vier Jahrzehnte lang waren ihre Worte, Taten und Gedanken ihrem Mann gegenüber durch Gnade bestimmt, obwohl es offensichtlich dessen Lebensabsicht war, seine Frau zu zerstören. Sie wusste, dass ihr Verhalten ihrem Mann gegenüber den Kindern ein Zeugnis von dem Gott, dem sie diente, ablegen würde. So war Emma sehr entschlossen, sich von Christus Gnade geben zu lassen und Ihn in ihrem Verhalten zu ehren.

Die Ehe kam nach vierzig Jahren auf traurige und schmerzhafte Weise zum Ende – ein offensichtlicher Ruf in den geistlichen Dienst war vertan worden, und eine durch die Sünde eines unbußfertigen Mannes finanziell ruinierte Familie war zerstört. In den Jahren nach ihrer Scheidung sandte Emma immer wieder Briefe und Geburtstagskarten an Gordon und rief den einsamen und rebellischen Mann zu Gott. Sie schmeckte die süße Freude einer tiefen Beziehung zu ihrem Vater im Himmel und wünschte sich dies doch auch so sehr für ihren Mann.

Irgendwann während dieser Zeit brach die Gnade Gottes über Gordon auf, und er antwortete auf den Ruf des Evangeliums mit errettendem Glauben. Die Kinder, nun erwachsene Christen, konfrontierten ihn in liebevoller Weise mit den Sünden seiner Vergangenheit, und zum ersten Mal in seinem Leben übernahm Gordon die Verantwortung für die Zerstörung seiner Familie. Er schrieb einen Brief an Emma und bekannte seine Sünde gegen Gott und gegen sie. Emma stand nun einer Prüfung gegenüber, über die wir im nächsten Kapitel sprechen werden, der Herausforderung der Vergebung. Kann es so einfach sein? Kann Gnade vierzig Jahre falschen Verhaltens einfach so bedecken? Wir kennen Emmas Überzeugung aus einem Schreiben, mit dem sie ihrem ehemaligen Ehemann antwortete:

Ich lese deinen Brief mit gemischten Gefühlen. Einerseits traurig, da er mich an viele schwierige Jahre erinnerte, andererseits froh über das, was der Geist Gottes in deinem Leben bewirkt. Es freut mich, dass du dein Versagen so freimütig eingestehst und um meine Vergebung bittest. Und es freut mich auch, dass du es auch deinen Kindern mitteilst. Gordon, ich vergebe dir. Ich vergebe dir, dass du mich nicht geliebt hast, wie Christus die Gemeinde geliebt hat, und ich vergebe dir die Missachtung deines Eheversprechens. Obwohl mich viele Erinnerungen an unsere Ehe traurig machen, habe ich diese dem Herrn übergeben und habe mein Herz vor den Verwüstungen der Bitterkeit in Acht genommen. Ich freue mich an der Gnade Gottes, dass unsere Kinder trotz unserer zerbrochenen Ehe alle treu dem Herrn dienen … Gott gebraucht Bekennen und Vergeben, um Heilung zu bringen. Ich vertraue auf Gott, dass dies für uns beide der Fall sein wird.

Emma und Gordon sind beide mittlerweile beim Herrn, der mit den starken Fäden Seiner Barmherzigkeit Wiederherstellung in diese zerrissene Familie eingewoben hat. Alle ihre Kinder lieben den Herrn und sehen nun im Rückblick eine geheimnisvolle Vorsehung Gottes. Obwohl Emma und Gordon nicht wieder in der Ehe zusammenfanden, war Gordon nicht mehr allein, als man ihn in hohem Alter begrub. Seine Familie und auch die Freunde aus seiner Gemeinde, mit der er sein Leben wieder verknüpft hatte, begleiteten ihn zur letzten Ruhe. Emma erlitt nach einiger Zeit einen Schlaganfall. Aber sie hinterließ eine Lebensgeschichte, die das Werk Gottes war und die alles Versagen in einer Ehe übersteigt und seither viele Menschen berührt hat.

Für Emma hat die Gnade Jahrzehnte vor der Umkehr Gordons über Gericht triumphiert. Die Gnade triumphierte mit jedem Gebet, das Emma gen Himmel richtete, mit jeder Sünde, die sie mit Liebe bedeckte, und mit ihrer Weigerung, der Bitterkeit Raum zu geben. Für Gordon bedeutete Gnade, etwas zu erhalten, was er nicht verdient hatte – die Vergebung seiner Sünden, die Liebe seiner Familie, ein Zuhause, in dem Jesus wohnte, sechs gottesfürchtige Kinder und Emmas lebenslange Liebe zu Christus. Dies alles zeigt die triumphierende und überwältigende Gnade auf, die Emma von Gott zuteilwurde und die sie ihrer Familie reichlich weitergab.

Triumphiert Gnade über Gericht? Was denkst du? Ich bin auf die folgenden Worte von Shakespeare gestoßen, der eine bessere Antwort gibt, als ich es jemals könnte:

Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang.
Sie träufelt wie des Himmels milder Regen
Zur Erde unter ihr; zwiefach gesegnet:
Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt.[6]

Gnade ist niemals angestrengt. Sie bedeckt einfach alles, was sie berührt. Und alles, was sie berührt, macht sie lieblich. Denn sie kommt vom Himmel, direkt vom Thron des gnädigen Erretters. Gnade ist ein Segen für den, der sie bekommt, und für den, der sie weitergibt. Nimm so viel du bekommen kannst. Und vergiss nicht, sie weiterzugeben!

  1. Kevin A. Miller, „Character“. in: David Goetz (Hrsg.). Christian Leadership, Cultivating a Leader’s Heart. Tyndale House Publishers: Wheaton, IL, 2001. S. 26.
  2. In ihrem Buch Relationships, A Mess Worth Making (New Growth Press: Cincinnati, 2007) gehen Tim Lane und Paul Tripp im Allgemeinen auf einige Prinzipien der in Beziehungen angewandten Gnade ein.
  3. Paul David Tripp. Werkzeuge in Gottes Hand. Biblische Seelsorge in der Gemeinde. 3L Verlag: Friedberg: 2006. S. 150 (Originaltitel: Instruments in the Redeemer’s Hands. Presbyterian & Reformed, Phillipsburg, NJ, 2002).
  4. Susannah Wesley, 1669 geboren, wurde als die „Mutter des Methodismus“ bekannt. Sie war Pfarrfrau und Mutter von 19 Kindern, von denen 9 die Jugendzeit überlebten. Während ihres gesamten Lebens musste sie viel Trauer und schwierige Lebenssituationen ertragen. Ihre Söhne Charles und John wurden die Gründer des Methodismus, einer Erweckungsbewegung, die das methodische Studium der Bibel und heilige Lebensführung betonte.
  5. John Stott. Basic Christian Leadership: Biblical Models of Church, Gospel and Ministry. IVP: Downers Grove, IL, 2002. S. 38.
  6. William Shakespeare. Der Kaufmann von Venedig. 4. Aufzug, 1. Szene (www.william-shakespeare.de/kaufmann_von_venedig/kaufmn41.htm).
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